Bühlertal. Urs Kramer stellt sich am Sonntag, 30. Juni, zur Wahl des Bürgermeisters von Bühlertal. Er arbeitet seit 2017 im Landratsamt des Ortenaukreises, wo er das Amt für Brand- und Katastrophenschutz leitet. Sein Berufsweg hatte mit einer Ausbildung zum Rettungsassistenten begonnen. Kramer wechselte in den gehobenen Polizeidienst, studierte an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein- Westfalen und später parallel zur Polizeiarbeit Politikwissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Die Verwaltungstätigkeit begann im LandratsamtLörrach, wo Kramer das Fachgebiet Verkehrund ÖPNV leitete. Im Interview erläutert er seine Vorstellungen für den Fall seiner Wahl zum Nachfolger von Hans-Peter Braun.
Herr Kramer, welches Thema wollen Sie im Fall Ihrer Wahl zuerst angehen?
Kramer: Es gibt mehrere Themenfelder, die wir umgehend und parallel angehen müssen. Recht kurzfristig sollten wir uns mit der Marke Bühlertal und unserer Attraktivität als Wohnort, Wirtschaftsstandort und als Tourismusziel beschäftigen – doch das geht nicht über Nacht. Schäden an unserer Infrastruktur – wie etwa in der Hindenburgstraße oder der Hirschbachstraße – können wir dagegen sofort angehen, gern aber eingebunden in ein Sanierungs- und Investitionskonzept für unsere Straßen und Parkflächen.
Wie wollen Sie Ihre Vorhaben in Einklang mit den Finanzen bringen?
Für dieses Jahr wird beim ordentlichen Ergebnis ein Defizit erwartet. Kramer: Der Haushalt ist nicht einfach, da stimme ich zu. Da unterscheidet sich Bühlertal nicht von vielen anderen Gemeinden. Aber wenn ich einzelne Kennzahlen sehe, etwa die Pro-Kopf-Verschuldung, ist es noch solider als anderswo. Dennoch: Wir müssen langfristig planen, Priorisierungen vornehmen und Fördermittel ausreizen, was ja auch schon geschehen ist, etwa beim Haus des Gastes.
Aber nicht jedes Vorhaben ist förderfähig.
Kramer: In einem solchen Fall muss sich eine Gemeinde die Frage stellen: In welchem Zeitraum kann und will ich mir das leisten? Nehmen wir noch mal das Haus des Gastes: Man kann das auch zeitlich strecken, zum Beispiel zuerst die Küche sanieren und dann Stück für Stück weitermachen. Vielleicht braucht es auch ein wenig Risikobereitschaft: Wenn ich sage, das Vorhaben bringt uns voran, muss ich mich vielleicht ein bisschen aus dem Rahmen bewegen. Das heißt jetzt nicht, zehn Projekte auf einmal zu machen und sich komplett zu verschulden. Die Wirtschaftlichkeit muss gewahrt sein. Aber wir müssen schauen, wie wir vorankommen, und das, ohne dabei in eine Mangellage zu kommen. Aber die sehe ich nicht.
Wäre eine stückweise Sanierung des Hauses des Gastes wirklich einer Komplettsanierung aus einem Guss vorzuziehen?
Kramer: Das ist die Frage. Eine Komplettsanierung mit einem Kredit bindetauf viele Jahre. Dazu kommt: Wenn sie wegen einer solchen Sanierung viele Monate geschlossen haben, kann sich das hinterher auswirken, wie wir nach Corona gesehen haben. Grundsätzlich braucht es ein Nutzungskonzept. Im Kleinen Saal gab es früher auch mehr Angebote.
Welchen Spielraum sehen Sie über die Pflichtausgaben hinaus?
Kramer: Aktuell gerade wenig. In den kommenden Jahren dürfte es ein bisschen besser werden. Die Gemeinde wird auch dann nicht plötzlich über Millionen verfügen. Aber diese Besserung muss man nutzen. Auch Rücklagen müssen gebildet werden. Da hat Bühlertal seine Hausaufgaben gemacht. Aber die Gemeinde muss auch die Bürger an dem Prozess beteiligen und in die Kommunikation gehen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, einmal im Monat über Social-Media-Kanäle zu erläutern, welche Themen Gemeinderat und Verwaltung gerade bearbeiten.
Wenn die Ausgaben aufs Notwendigste reduziert sind und es trotzdem nicht für einen ausgeglichenen Haushalt reicht, wie sieht es dann mit den Einnahmen aus? Sehen Sie da Möglichkeiten?
Kramer: Meistens muss man erst investieren, bevor sich Einnahmen erzielen lassen. Es gilt, Tourismus, Wirtschaft und Gewerbe anzukurbeln. Bosch hat sich ein ordentliches Stück zurückgezogen. Dadurch kann neues Potenzial entstehen. Warum nicht gemeinsam mit Bosch etwas anstoßen? Ich habe den Eindruck, dass Bosch offen ist für neue Konzepte. Das gab es ja auch schon. Das Areal gegenüber vom ehemaligen Café Müller war einmal ein Bosch-Parkplatz, inzwischen ist dort Wohnraum entstanden. Wir sollten prüfen, ob über Bebauungspläne Gewerbeflächen entwickelt werden können. Im Untertal beispielsweise haben wir Mischgebiete mit Baulücken.
Solche Flächen würden auch benötigt für neuen Wohnraum.
Kramer: Warum nicht das eine mit dem anderen verbinden? Man könnte zum Beispiel im Obertal einen Einkaufsladen mit einer Wohnnutzung kombinieren. Da gibt es Beispiele, etwa in Tuttlingen, wo ein Discounter für seinen Neubau vom gewohnten Format abgewichen ist und in einem Obergeschoss Studentenwohnungen errichtet hat. In Bad Krozingen wiederum ist ein solches Geschäft mit einem Ärztehaus verbunden. Ein anderer Punkt: Man sollte versuchen, Leerstände zu aktivieren. Als Gemeinde könnten wir auf die Besitzer zugehen und Investoren suchen. Es braucht aber auch Anreize für den Wohnungsbau.
Was meinen Sie damit?
Kramer: Es geht nicht nur um das Wohnen an sich, sondern auch um die Wohnqualität. Wo können die Kinder spielen? Wie weit ist es bis zur Schule? Das sind weiche Standortfaktoren, die eine Gemeinde attraktiv machen und Investoren überzeugen.
Welche sehen Sie als wichtig an?
Kramer: Das Schwimmbad ist gut und wirklich toll, weil es ein sozialer Treffpunkt für Familien ist. Natürlich ist das für die Gemeinde eine finanzielle Herausforderung. Aber es war die richtige Entscheidung, das Bad zu sanieren. Hervorzuheben ist auch das großartige Vereinsleben mit 64 Vereinen, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das gibt es anderswo nicht. Dieser Vereinsreichtum kann auch helfen bei der Integration von Neubürgern. Den Jugendtreff finde ich wichtig, auch kulturelle Veranstaltungen wie „Live im Gewölbekeller“. So etwas zieht die Menschen an.
Beim Tourismus wollen Sie eine Marke Bühlertal entwickeln. Was verstehen Sie darunter?
Kramer: Das umfasst die Darstellung nach innen und außen und fängt mit der Homepage an, die übersichtlicher, moderner und attraktiver sein sollte. Wir müssen zeigen, was uns auszeichnet und was wir zu bieten haben. Verstecken muss sich Bühlertal nicht. Man sollte sich mit allen Akteuren zusammensetzen und wie ein Unternehmer denken. Unser Produkt heißt Bühlertal, und das gilt es zu präsentieren.
Sie sind intensiv unterwegs. Was nehmen Sie als den Menschen besonders wichtige Themen wahr?
Kramer: Dazu zählen die Förderung der Kitas, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Erweiterung des Jugendtreffs, Infrastruktur, Tourismus und Gewerbe. Das Thema Windkraft ist seit der Kommunalwahl etwas abgeebbt. Auch Verkehrsfragen kommen häufig, zum Beispiel die Parksituation.
Wo klemmt’s?
Kramer: In der Hindenburgstraße kommen Feuerwehr und Rettungswagen regelmäßig nicht durch. In der Liehenbachstraße und im Kirchweg gibt es auch Klagen. Was man machen kann, ist, das Parkkonzept zu überarbeiten. Viele Möglichkeiten gibt es nicht, die Straßen kann man nicht breiter machen. Aus der Bevölkerung kam die Forderung nach einem Gemeindebediensteten, der Knöllchen verteilt. Es müssen aber auch neue Anreize gesetzt werden. Wer sein Kind mit dem Fahrrad zum Kindergarten bringen möchte, braucht dort eine Möglichkeit, sein Fahrrad abzustellen. Beim Radverkehr sehe ich ebenso Potenzial wie beim Öffentlichen Personennahverkehr. Fahren Sie mal in Bühlertal mit dem Bus. Ich wünsche viel Spaß.
Wie stehen Sie zur Windkraft?
Kramer: Das Ob ist kein Thema mehr, sie wird kommen. Die Frage ist das Wie. Da wird die Gemeinde gefragt sein. Sie hat zur Vorrangplanung des Regionalverbands eine Stellungnahme abgegeben und den Standort Sickenwald abgelehnt. Das finde ich in Ordnung. Jetzt ist abzuwarten, was passiert. Eine Verspargelung der Schwarzwaldhöhen muss verhindert werden. Sinnvoller wäre eine Konzentration auf einen Windpark, etwa am Omerskopf. Das wäre auch eine finanzielle Frage für Bühlertal.
Inwiefern?
Kramer: Spätestens wenn es darum geht, den Strom abzuleiten ins Tal, muss ein Teil der Leitung über Bühlert.ler Gemarkungen. Eine Idee wäre, sich als Verwaltungsgemeinschaft zusammenzutun und eine Bürgerenergiegenossenschaft zu gründen, in die man einsteigen und so auch eine Rendite erzielen könnte.
Das Gespräch führte Wilfried Lienhard